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Leander Petzoldt, Tradition im Wandel. Studien zur Volkskultur und Volksdichtung

   

Leander Petzoldt, TRADITION IM WANDEL. STUDIEN ZUR VOLKSKULTUR UND VOLKSDICHTUNG

Leander Petzoldt, TRADITION IM WANDEL. STUDIEN ZUR VOLKSKULTUR UND VOLKSDICHTUNG. Frankfurt/M., N.Y. 2002.

Der Band enthält ausgewählte Aufsätze aus dem Bereich der volkskundlichen Narrativistik (Erzählforschung), Brauchforschung, Volksreligiösität, Magie und Dämonologie. Der Bogen reicht von antiken und mittelalterlichen Dämonologien über Vergil als Zauberer, Albertus Magnus und die Magie, über den Griseldis-Stoff und die Vorläufer des Don Juan bis hin zu Fragen der Gattungstypologie und zeigt wesentliche ideengeschichtliche Zusammenhänge und Entwicklungslinien einer allgemeinen europäischen Kulturgeschichte auf.

   
 

Inhaltsverzeichnis

Zum Geleit, von Vilmos Voigt…7

I.

Das Universum der Dämonen
Dämonologien und dämonologische Konzepte vom ausgehenden Mittelalter bis zur frühen Neuzeit…9

Mirabilia Vergiliana
Der Zauberer Virgil in der europäischen Erzähltradition…33

Albertus Mag(n)us
Albert der Große und die magische Tradition des Mittelalters…49

Die unschuldig verstoßene Ehefrau
Zur Stoff- und Überlieferungsgeschichte des Volksbuchs von "Griseldis" in der mündlichen Tradition…61

Das Reich der Toten im Berg
Tod und Jenseits in Märchen und Sagen…73

Don Juan und die Armen Seelen
Zur Vorgeschichte des Don Juan-Stoffes in der populären Tradition…91

L'Opera Come Fiaba
Die Zauberflöte, eine Märchenoper?...107

Gula et ebrietas
Essen und Trinken von der Renaissance bis zum Beginn der Aufklärung…119

 

II.

Volkskultur im Wandel
Überlegungen zu einem dynamischen Traditionsbegriff…145

Von der Spätromantik bis zur Postmoderne
Zur Geschichte der Erzählforschung in Österreich…161

Sammlung, Klassifikation und Dokumentation von Volksprosa
Überlegungen zur Taxonomie der Volkserzählung…185

Phantom-Lore oder: Vom Glück des Sammlers beim Finden
Zur Genese und Funktion moderner Sagenbildung…201

Narrenliteratur
Facetie, Schwank und Witz von der italienischen Renaissance bis zur frühen Neuzeit…209

Narrenfeste
Fastnacht, Fasching, Karneval in der Bürgerkultur der frühen Neuzeit…235

Gesellschaftslyrik des 18. und 19. Jahrhunderts
Eine Sammlung von "Leberreimen" aus dem Archiv der Wiener Stadtbibliothek…247

"Knappentod und Güldenfluß"
Zu den Bedingungen bergmännischer Folklore in Tirol…265


III.

Von der "Religiösen Volkskunde" zur Erforschung der Volksreligiosität Versuch einer begrifflichen Klärung…281

Magie und Religion
Überlegungen zur Geschichte und Theorie der Magie…285

Religion zwischen Sentiment und Protest
Zur Sistierung des Kultes um "Andreas von Rinn" in Tirol…303

Anmerkungen…327
Register…361

 

   
 

Zum Geleit

Die vorliegende Sammlung ausgewählter Aufsätze aus der Feder Leander Petzoldts stellt einen gelungenen Querschnitt aus dem vielseitigen und produktiven Schaffen des Wissenschaftlers und Freundes dar, dem ich mich seit vierzig Jahren fachlich, freundschaftlich-wissenschaftlich verbunden fühle. Begegnungen auf Kongressen und Tagungen, Gastvorlesungen und Symposien ließen immer wieder die Gleichgerichtetheit unserer wissenschaftlichen Bemühungen erkennen.

Der Band vereinigt neunzehn Beiträge aus dem Bereich der vergleichenden Erzählforschung, Brauchforschung und Volksreligiosität, sie weisen auf das breite Spektrum seiner wissenschaftlichen Interessen hin, wenn er Themen von der Magie über die Fastnachtsforschung bis hin zur Montanethnologie behandelt. Eine zentrale Stellung nimmt jedoch hier, wie in seinem Gesamtwerk, die vergleichende volkskundliche Narrativistik ein; sie war von Anfang an, wie seine Dissertation erweist, sein besonderes Anliegen. Die Auseinandersetzung mit spezifischen Fragestellungen zu den einzelnen Gattungsbereichen, Sage, Märchen, Mythos, Fazetie und Schwank ließ ihn immer wieder reiches internationales Vergleichsmaterial heranziehen und zu erhellenden Motivbeziehungen hinführen.

Im Untertitel des Werkes erscheinen die Begriffe "Volkskultur" und "Volksdichtung", die - so wird es heute immer offensichtlicher - in ihrer Verbindung ein kühnes Programm darstellen. Nun gehört Leander Petzoldt aber zu jenen Vertretern seines Faches, die über weitreichende Kenntnisse in der europäischen Kulturgeschichte verfügen, eine Eigenschaft, die man bei vielen jüngeren Autoren der Erzählpublizistik schmerzlich vermisst. Wenn er somit über mittelalterliche Dämonologien, über Vergil als Zauberer, über Albertus Magnus und die Magie, über den Griseldis-Stoff oder die Vorläufer des Don Juan schreibt, um nur einige Beispiele zu nennen, schöpft er aus einem breiten Wissensfundus und weist ideengeschichtliche Zusammenhänge auf, die weit über die eigentliche Literatur- und Kulturgeschichte hinausreichen.

Es versteht sich von selbst, dass sich der Verfasser auch an der lebhaften Diskussion um Gattungstypologien beteiligte, wie er dies vor allem in seinem Buch "Einführung in die Sagenforschung" (Konstanz 2002) getan hat. Einer der grundlegenden Aufsätze dieses Buches "Volkskultur im Wandel" beschäftigt sich mit der Dynamik von Volksüberlieferungen und nimmt dazu Bezug auf das Leitthema, "Tradition im Wandel", wobei dieser Titel durchaus doppelsinnig

verstanden werden kann. Zunächst in dem Sinn, dass Traditionen sich über Generationen und Epochen hin wandeln, und etwas subtiler, als Hinweis auf die Tatsache, dass in jedem Wandel, in jeder kulturellen Veränderung auch immer traditionelle Elemente enthalten sind. Weitere Beiträge behandeln die Geschichte der Erzählforschung in Österreich, die Klassifikation von Volksprosa und den Bereich der modernen Sage ("contemporary legend").

Die in diesem Band vereinigten Einzelstudien bilden eine spannende Einheit. Sie wurden während der letzten 15 Jahre verfasst und z.T. an entlegener Stelle veröffentlicht. Diese zeitliche Eingrenzung verleiht dem Werk ein hohes Maß an Kohärenz und Aktualität, und die sich zwangsläufig ergebenden Synergieeffekte erhöhen seinen Wert. Nicht zuletzt ist es die Konstanz der streng philologischen Methode sowie Petzoldts knapper und präziser Schreibstil, die dem Werk eine bemerkenswerte Einheitlichkeit verleihen. Der Leser spürt das persönliche Engagement des Autors und das rege Interesse, mit dem er der Forschungsthematik gegenübertritt.

Gerade während der wissenschaftlichen Karriere Professor Petzoldts vollzog sich ein tiefgreifender Wandel seines Faches, weg von der "Volkskunde" hin zu einer "Europäischen Ethnologie". Die Umbenennung eines universitären Faches ist oft ein Zeugnis des Ungenügens oder fachlichen Identitätsverlustes. Blättert man aber im vorliegenden Werk, wird einem immer mehr bewusst, wie eng die Erforschung der Volksdichtung mit den Entwicklungslinien einer allgemeinen europäischen Kulturgeschichte verwoben ist. Es handelt sich zumeist um gemeineuropäische kulturelle Traditionen, gleichviel ob der Autor über Albertus Magnus, Mozart oder die Romantik schreibt. Sie verbindet ein ununterbrochenes Band europäischer Entwicklungen. Auch deswegen ist dieses Buch so wichtig, nicht nur als Desideratum, sondern auch als ein Fazit langjähriger Forschungen.

Vilmos Voigt, Universität Budapest